Disclaimer: Es soll Leute geben, die mir nachsagen, bei meinen Fahrberichten zum Aufschneiden zu tendieren. Das ist natürlich völliger Quatsch.
Der Geschäfskundenberater meiner Bank begrüßte mich herzlich und mit einem festem Händedruck. „Herr Nolte, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Schritt in die Selbstständigkeit. Wie können wir helfen?“. „Ich brauche eine Anschubfinanzierung für den Fuhrpark meines Unternehmens“, antwortete ich. „Und in welchem Bereich ist Ihre Firma noch einmal genau tätig?“, wollte der Banker wissen. Ich klärte ihn auf: „Eilkurierfahrten und Transporte aller Art“.
– „An was für einen Betrag hatten Sie gedacht?“
„Exakt 107.900 Euro.“
– „Oh, das ist aber eine ordentliche Summe. Um wieviele Fahrzeuge soll es sich denn handeln?“
„Um so ziemlich genau eines, einen Audi-Kombi“, antwortete ich jovial. Ich wusste schließlich, dass zügige, diskrete Lieferung und Termintreue in meiner neuen Branche die über Erfolg oder Misserfolg entscheidenen Faktoren sind. Und anders als Franz Meersdonk sah ich mich weniger in einem LKW von Mercedes-Benz. Der Audi RS6 schien mit der ideale Partner für mein neues Business zu sein.
Die Finanzierung so gut wie in der Tasche, ging es jetzt nur noch darum, den Transporter meiner Wahl ausgiebig probezufahren.
Der Ersteindruck ist wie erwartet extrem positiv: der Audi RS6 Avant ist einfach richtig gut gezeichnet. Seine gestreckte Linie kaschiert das nach wie vor nicht unerhebliche Gewicht von knapp über zwei Tonnen – vor allem Aluminium und Highend-Stähle, sowie diverse Leichtbaumaßnahmen sollen das Gewicht um immerhin 100 Kilogramm gegenüber dem Vorgänger drücken. Trotz seiner im Vergleich zum zivilen Bruder deutlich aggressiveren Optik, spielt die Speerspitze der A6-Baureihe mit einem klitzekleinen Rest Understatement. Wer würde vermuten, dass in diesem unschuldig weiß lackierten Kombi ein 4-Liter-V8-Biturbo-Triebwerk mit 560 PS arbeitet? Klare Antwort: echte Connaisseure natürlich. Die identifizieren den Kombi als RS-Variante unter anderem anhand seiner riesigen Kohlefaser-Keramik-Bremsen (Scheibendurchmesser 420 mm). Die 21-Zöller brauchen die schon, um überhaupt Platz finden.
Ab ins Cockpit, meinem zukünftigen Arbeitsplatz. Denn selbstredend transportiert bei uns der Chef noch selbst. Und was soll ich sagen? Selten habe ich in einem so perfekten Cockpit gesessen: Tolle Ergonomie, Spitzen-Materialien und perfekte Verarbeitung. Der sportliche Anspruch ist überall greifbar, erdrückt den gelungenen, angenehmen Gesamteindruck jedoch nicht: hier lassen sich auch längere Reisen aushalten. Die Sportsitze sind ein gutes Beispiel für den gelungenen Spagat zwischen Sportlichkeit und Komfort. Die RS-Sitze mit ausgeprägten Seitenwangen bestehen in den RS6-Modellen aus einer schwarzen Alcantara-/Leder-Kombination mit einer edlen Rautensteppung. Alternativ sind Sitze mit feinem Leder Valcona in schwarz oder mondsilber mit Wabensteppung erhältlich. Auf Wunsch montiert Audi elektrisch einstellbare Komfortsitze mit Memory-Funktion, optional auch mit Belüftung und Massage der Vordersitze. Sehr angenehm – vor allem für Einsätze im Fernverkehr.
Für den modernen Transportunternehmer nicht unwesentlich: das Platzangebot für eine etwaige Personenbeförderung (man muss ja flexibel sein) und das maximal nutzbare Raumangebot insgesamt. Entwarnung für den Audi RS6 Avant, denn der läuft serienmäßig mit zwei sportlich ausgeformten Fondsitzen vom Band, ist optional mit einer Rückbank mit drei Sitzplätzen erhältlich und fasst bei umgeklappter Rücksitzbank bis zu 1.680 Liter. Gut, damit liegt der RS6 Avant platztechnisch lediglich zwischen der Limousine und dem Combi des neuen Skoda Octavia. Ich tröste mich damit, dass selbst der kommende Octavia RS wohl kaum an die 560 Pferde des Audi-Dampfhammers herankommen wird.
Mittlerweile kitzelt es ganz gehörig in meinem Gasfuß. Es wird Zeit, den unscheinbaren Start-Knopf in der Mittelkonsole zu betätigen. Der 4-Liter TFSI erwacht dezent zum Leben. Lediglich ein leises Grollen des V8 ist zu bemerken. Damit ist es aber sehr schnell vorbei. Der Audi RS6 Avant beschleunigt, dass einem Hören und Sehen vergeht. Man wähnt sich längst nicht mehr in einem zwei Tonnen schweren Kombi, sondern in einem Supersportwagen allererster Kajüte. Bei Vollgas öffnet sich die Klappenmechanik in der Auspuffanlage und vergessen ist die akustische Zurückhaltung des Audi-Kombis. Bei Bedarf katapultiert sich der Audi RS6 Avant in nur 3,9 Sekunden von null auf hundert und nur wenig später in straßenverkehrsrechtlich höchst fragwürdige Geschwindigkeiten. Maßgeblichen Anteil daran hat die Audi-Tiptronic, die die unteren Gänge des Allradlers sehr eng staffelt. Zugleich ist der letzte (8.) Gang relativ lang übersetzt, was einen entsprechend reduzierten Kraftstoffverbrauch zur Folge hat.
Ich verzichtete auf die serienmäßige Ausstattung „RS adaptive air suspension“ und wählte einen Testwagen mit dem strafferen RS-Sportfahrwerk plus mit Dynamic Ride Control (DRC). Hier kommen Stahlfedern und dreifach einstellbare Dämpfer zum Einsatz. Diese sind diagonal über Ölleitungen und je ein Zentralventil miteinander verbunden. Bei schneller Kurvenfahrt wirken die Ventile auf die Ölströmung am Dämpfer des eingefederten kurvenäußeren Vorderrads ein. Sie verstärken die Abstützung und reduzieren die Seitenneigung.
Als Herzstück des quattro-Antriebsstrangs im neuen Audi RS6 fungiert ein weiterentwickeltes Mittendifferenzial, das die Kräfte variabel verteilt. Im Normalbetrieb leitet das System 40 Prozent der Momente auf die vordere und 60 Prozent auf die hintere Achse. Wenn nötig, kann das rein mechanisch arbeitende Bauteil ohne jede Verzögerung bis zu 70 Prozent nach vorne oder 85 Prozent nach hinten schicken. Das Mittendifferenzial arbeitet im neuen Audi RS6 Avant mit einer intelligenten Softwarelösung im Bremsenmanagement zusammen – der radselektiven Momentensteuerung, die auf alle vier Räder zugreift. Wenn ihr Management bei schneller Kurvenfahrt erkennt, dass die entlasteten kurveninneren Räder kurz vor dem Durchdrehen sind, bremst es sie durch ein Anlegen der Beläge an die Scheibe mit minimalem Druck ganz leicht ab.
Für noch mehr Dynamik sorgt ein weiterer Baustein im quattro-Antriebsstrang. Das Sportdifferenzial teilt die Momente aktiv zwischen den Hinterrädern auf. Beim Anlenken oder Beschleunigen in der Kurve leitet es sie überwiegend zum kurvenäußeren Rad. Sie drücken den neuen RS6 Avant in die Kurve und wirken jeder Neigung zum Über- oder Untersteuern schon im Ansatz entgegen.
Jetzt musste ich meinem Bankberater nur noch ein paar weitere zehntausend Euro aus dem Kreuz leiern, um die zahlreichen aufpreispflichtigen Zusatz-Features des Testwagens zu finanzieren…
[…] werden. Da die vier Teilnehmer auch noch von zwei Audi-Leuten begleitet werden, fahren auch ein Audi RS6 und Audi RS7 mit – es soll schließlich eine angemessene Begleitung […]